Zeitzeugencafé: “Graswurzelrevolution” - Helga Weber, Wolfgang Zucht und Heinrich Triebstein
Wolfgang Zucht und seine Ehefrau Helga Weber waren im März 2013 zu Gast im Erzählcafé der Forstfelder Jubiläumswochen und berichteten
von ihrem Einsatz für den Frieden. Bis Ende der sechziger Jahre lebten beide in London, wo sie unter anderem für die War Resisters' International
(WRI) tätig waren. 1973 kehrten sie nach Deutschland zurück, beteiligten sich an der Zeitschrift Graswurzelrevolution (GWR) und gründeten die
Graswurzelwerkstatt. Auf dem Kasseler Lindenberg betrieben sie den Verlag „Weber & Zucht“, der Bücher zu den Themen Gewaltfreiheit und
alternatives Leben verlegte.
Am 17. September 2015 verstarb Wolfgang Zucht. Er wird als einer der engagiertesten Streiter für Frieden und Gewaltlosigkeit unvergessen
bleiben.
Weitere Infos zu Helga Weber und Wolfgang Zucht und die Veranstaltung als Video bei
“Erinnerungen im Netz”
“Rettet ENKA”
Di, 5.3.2013, Haus Forstbachweg
mit Herbert Lucan, Helmut Kleinert, Hannelore Diederich, Falk D. Urlen u. v. a.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Herbert Lucan, der von 1977 bis 1993 Gemeindepfarrer in Forstfeld war, danach bis 2010 Leiter des Referats
„Kirche und Arbeitswelt“ der Kirche von Kurhessen-Waldeck.
Der Abend beschäftigt sich vor allem mit der Forstfelder Bürgerinitiative „Rettet ENKA!“. Anfang der Achtzigerjahre wehrte sich der Stadtteil
gemeinsam und solidarisch gegen die Schließung der Spinnfaser-Fabrik. Am Ende konnte diese zwar nicht verhindert, immerhin aber ein
beispielhafter Sozialplan durchgesetzt werden.
Mit dabei waren u. a. auch Hannelore Diederich, Karl Heinz Mruck sowie Falk D. Urlen, langjähriger Ortsvorsteher von
Forstfeld.
Das “Lettenlager”
7.3.2013, Johann-Hinrich-Wichern-Schule
Mit Carla Klewes, Andrea C. Ortolano, Helmut Kleinert, Falk D. Urlen u. v. a. Moderation: Gerd Hallaschka
Legenden ranken sich um das Forstfelder „Lettenlager“. Diese Veranstaltung soll zeigen, warum die Barackensiedlung eine so wichtige Rolle
in der Geschichte Kassels spielte - und sogar in einer Komödie von Rolf Hochhuth behandelt wurde.
Das „Lettenlager“ wurde 1940 von den Junkers Motorenwerken errichtet, zunächst als Unterkunft für reguläre Mitarbeiter. Gegen Ende des Krieges
wurde es ein Lager für sog. „Fremdarbeiter“, die man im Ausland anwarb und später hier festhielt. In der Nähe existierten außerdem drei bewachte
Zwangsarbeiterlager. Nach dem Krieg wurden die Baracken als Sammellager für DPs (Displaced Persons) aus Lettland und Estland genutzt - daher
der Name „Lettenlager“. Nachdem diese eine neue Heimat gefunden hatten, waren die Baracken in den Fünfzigerjahren zunächst begehrte
Wohnungen, vor allem für Arbeiter der AEG. Man richtete eine Schule und ein kleines Einkaufszentrum ein. Die Bewohner aber suchten sich bald
bessere Wohnungen. Große Familien ohne Bleibe wurden einquartiert, die Baracken zerfielen. Die „Obdachlosensiedlung Lettenlager“ wurde ein
sozialer Brennpunkt, über den die Presse empört berichtete. 1968 schrieb z. B. die Kanadische Zeitung „Courier“: „Unbeschreibliche Not,
Verwahrlosung und Kinderelend finden sich in diesem Barackenlager des Wirtschaftswunderlands Deutschland. Zirka 90 Familien leben
zusammengepfercht in Zweizimmer-Baracken mit 10 bis 13 Kindern.“
Hilfspakete kamen aus aller Welt und wurden über die Schule Am Lindenberg verteilt. Der politische Druck wuchs. 1971 beteiligen sich zahlreiche
Bewohner an der Besetzung der „Belgiersiedlung“, um auf ihre miserablen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Der Schriftsteller Rolf
Hochhuth verarbeitete die Ereignisse in der Komödie „Die Hebamme“. Er verlegt die Handlung in die fiktive nordhessische „Kreisstadt Wilhelmsthal“.
Dort setzt sich die engagierte Hebamme Sophie selbstlos für die Bewohner eines Obdachlosenlagers ein. Sie lässt ihnen eine erschwindelte
Pension zukommen und führt sie schließlich in den Aufstand. Bundeswehr-Wohnungen werden besetzt. Am Ende dürfen die Besetzer bleiben, die
Hebamme selbst zündet die Baracken an.
Was ist Dichtung, wie sah die Wirklichkeit aus? Wir wollen in dieser Veranstaltung die Geschichte des „Lettenlagers“ nachzeichnen. Zeitzeugen
kommen zu Wort. Mit dabei ist Frau Carla Klewes, die damals als Sozialarbeiterin in Kassel maßgeblich dazu beitrug, die Lage im „Lettenlager“
zu verbessern. Die Kasseler Schauspielerin Andrea C. Ortolano schlüpft in die Rolle der „Hebamme“ aus Hochhuths Stück.
Weitere Informationen unter: www.kassel-forstfeld.de
Die “Hebamme” und das “Lettenlager”
Hochhuth veröffentlichte 1971 die Komödie „Die Hebamme“ - ein höchst erfolgreiches Bühnenwerk, das sich mit „Vetternwirtschaft und
sozialer Benachteiligung in einer fiktiven nordhessischen Kleinstadt“ beschäftigt. Doch die Missstände waren höchst real: Das Werk basierte
u. a. auf den Protesten gegen die unzumutbaren Wohnbedingungen in der Obdachlosensiedlung „Lettenlager“ bei uns in Forstfeld.
Berichte über „Die hungrigen Kinder von Kassel“ hatten für Empörung gesorgt, Hilfslieferungen kamen aus aller Welt. Im Juni 1971 schlossen
sich Bewohner einer Besetzung von 25 Wohnungen an, die zuvor von der belgischen Armee genutzt worden waren und nun leer standen.
Eine in ihrer Größenordnung beispiellose Aktion, die zum Modell für viele weitere Besetzungen in den Siebzigern wurde.
Hochhuths Stück war am Puls der Zeit. Über 30 mal wurde es inszeniert und erreichte als Buch eine Auflage von über 100.000 Exemplaren.
Der WDR verfilmte die Komödie mit Inge Meysel als „Hebamme“.
Die Kasseler Schauspielerin Andrea C. Ortolano führt als „Hebamme“ in das Stück ein. Mit dabei ist auch Carla Klewes, die damals als
Sozialarbeiterin maßgeblich dazu beitrug, die Situation im „Lettenlager“ zu verbessern und dieses unschöne Kapitel der Forstfelder Geschichte
zu einem guten Ende zu bringen.
Eröffnung der documenta-Hütte im Forstfeldgarten mit Bernd Leifeld
Zeitzeugencafé: Hildegard Spitzer und Hermann Jakobshagen
Forstfelder Jubiläumswochen 2013
zum Videofilm “Mein Forstfeld”